Matze Steinbeißer

Gehversuche eines Fantasy-Autors

Vergossenes Blut


Katra hatte ihren Teil erfüllt. Jetzt wartete sie in um die Ecke, neben diesem hübschen Gasthaus mit dem sauberen Boden.
Sicher, das Siegel der Inquisition war eine schlechte Fälschung, aber die beiden standen so unter Druck, dass sie kaum zweimal hinsehen würden. Sie schnaubte. Als ob die Inquisition einen Brief schicken würde, bevor die einen holen kam! Areks zwei Schläger waren gegenüber und gerade zwinkerte ihr Orin, der größere der beiden Mistkerle, bösartig zu. Sie verzog das Gesicht. Sie war schon zu oft von den beiden geschlagen worden. Und beide machten sich einen Spaß daraus, sie für blödsinnige Aufgaben herumzujagen. Und dann lachten sie. Diese dreckigen Kerle! Und manchmal taten sie ihr und den anderen Kindern auch schlimmeres an.
Sie spuckte geräuschvoll aus und handelte sich damit einen bösen Blick von Bakke, dem kleineren, breiten ein. Sie zuckte mit ihren dürren Schultern und verschränkte die Arme ob der Kälte. Orin und Bakke, Areks bevorzugte Schläger und Menschenfänger. Womit verdiente der dünne Bücherwurm, dem sie den Brief gegeben hatte, was ihm blühte? Vermutlich hatte er Geld verloren. Das war es immer! Es war immer das Geld, bei den Erwachsenen. Und, dass er schwach war.
Erwachsene, die schwach waren – Ihr kam die Galle hoch! Sie und die anderen Straßenkinder wünschten sich nichts sehnlicher, als erwachsen zu sein. Es war der einzige Weg zur Stärke. Lange genug zu leben. Die kleineren Kinder verstanden es noch nicht. Sie litten einfach, bis sie alt genug waren, um zu verstehen. Erwachsene, die schlugen und alles bestimmten. Erwachsene, die begrabschten. Und wenn die Kleinen verstanden hatten, dann wurden sie stumpf, bitter und hart. Und trotzdem litten sie. In dieser Zeit zeigte sich, ob sie in der Lage waren durchzuhalten, oder ob sie zu schwach waren und zerbrachen – Dann dauerte es oft nicht lange, bis sie starben.
Das war ihre Welt.
Aber ein Erwachsener, der schwach war, davon wurde ihr übel.
Sie spuckte erneut und wieder schaute Bakke böse zu ihr herüber. Er machte eine eindeutige, harsche Handbewegung, um sie zu verscheuchen und sie zog sich etwas weiter in die Gasse zurück, in die Schatten. Von hier konnte sie sehen, dass Orin sich zu seinem Spießgesellen herunterbeugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Beide grinsten und Katra schauderte. Sie würde den anderen Mädchen sagen, dass sie heute nicht im Lager hinter Areks Haus schlafen sollten. Wenn Orin in dieser zwinkernden Stimmung war, vergriff er sich fast immer an den Mädchen. Und sie würde die kleine Marla finden müssen. Das kleinste Mädchen in ihrer Gruppe verstand die Gefahr noch nicht. Der Winter kam, und Marla würde alleine draußen nicht überleben, oder, sie würde das einzige Mädchen sein, das heute Nacht im Lager schlief. Dann wäre es wahrscheinlich besser, draußen irgendwo zu erfrieren.

Etwas rumpelte und ein warmer Lichtschein fiel, von außerhalb ihres Sichtfelds, auf die Kreuzung. Jemand hatte die Tür zum Gasthaus geöffnet und als der Lichtschein wieder verblasste, kamen zwei schmale Schatten auf die Kreuzung. Die beiden schritten rasch aus, doch nicht schnell genug.
Orin und Bakke schälten sich aus dem Dunkel.
Die beiden Gestalten zuckten zusammen und Katra hörte, wie jemand zischend Luft holte. Der hintere der beiden fummelte ungeschickt an seinem Gürtel herum.
Alle sahen ihm dabei zu.
Es gelang dem Dünnen, eine kurze Klingenwaffe, ein Sax, zu ziehen. Orin grunzte. Es klang eher genervt, denn verunsichert.
Zwei schnelle Schritten, dann schlug er dem dünnen Kerl erst die Klinge aus der Hand und ihn dann mit einem Rückhandschlag zu Boden.
‚Scheiße.‘ knurrte er und hielt sich die Hand. ‚Dreckskerl.‘
‚Was isn?‘, fragte Bakke, den anderen nicht aus den Augen lassend.
‚Hab mich geschnitten. Scheißdreck.‘
‚Selbst Schuld. Heb ihn auf! Der Kerl ist bares Geld wert.‘
‚Ich brech ihm die Beine, das mach’ ich!‘
Katra war näher herangekommen.
‚Orin! Lass es!‘, blaffte Bakke.
Der Angesprochene grollte, doch er nahm den Dünnen an einem Arm. Der hing da, schlaff wie eine Puppe, und Orin zog ihn hinter sich her.
‚Lasst ihn hier! Ihr n-nehmt ihn nicht mit!‘ Der Andere, der Begleiter des Bücherwurms, wollte Orin in den Weg treten, doch Bakke gab ihm einen Stoß und er strauchelte. Katra konnte sehen, dass der Kerl am ganzen Leib zitterte.
‚Mach das nochmal und ich schlag’ dich tot.‘ Bakke starrte ihn böse an und zog einen Knüppel, der ihm hinter dem Gürtel gesteckt hatte.
Sosehr Katra die zwei Schläger verachtete, sie bewunderte ihre brutale Effizienz und die Furcht, die sie in anderen weckten.
Als hätte Orin ihre Gedanken erraten, sah er sich nach ihr um und grinste sie an. Die Abscheu machte ihr Gänsehaut und doch, sie hatte schon öfter ertragen, was er tat. Es war der Preis für ein bisschen mehr Sicherheit.
Schritte von genagelten Stiefeln knirschten auf dem Pflaster, dann verdunkelte ein Schatten die Kreuzung. Alle drehten die Köpfe. Der Mann, der hochgewachsen und mit wildem Bart auf der Kreuzung stand, hatte den Mond im Rücken. Sein Gesicht lag im Dunkeln.
‚Verpiss ich …‘ knurrte Bakke abgelenkt. Er war noch immer dem Freund des Gestürzten zugewandt. ‚Das geht dich nichts an. Die Kerle haben Schulden.‘
‚Oh, Schulden.‘ Die Stimme des großen Fremden war tief, aber sanft. ‚Die habe ich auch. Und die Zinsen …‘ Er schüttelte langsam den Kopf. Das Licht einiger weniger Sterne als ein schwaches Funkeln in den Augen. ‚Ich werde meine Schuld in diesem Leben nicht mehr begleichen können.‘
‚Ach … Nein?‘ Orin runzelte heftig die Stirn. ‚Bei Arek Einauge?‘
Fast hätte Katra gekichert. Der Bärtige war ganz offensichtlich ein Fremder. Das Timbre in seiner Stimme war anders, als der harte Sorengarder Ton, wenn auch sein Dialekt ähnlich klang. Ganz sicher hatte der Mann noch nie von Arek Einauge, dem Herrn der Seitenstraßen und Gassen und dem Meister der Straßenkinder, gehört.
‚Ich … wir …‘ versuchte es Bakke noch einmal, um dann frustriert mit dem Knüppel auf Orin zu deuten. ‚Hey! Jag das Arschloch weg!‘
Der große Fremde hob beschwichtigend die Hände.
‚Gemach! Gemach! Warum streiten?‘ Er ließ die Hände wieder sinken und wandte sich Orin zu, der die schlaffe Gestalt ihres Ziels abgelegt hatte, und der sich ihm jetzt, wiegenden Schrittes, näherte.
‚Ich möchte bloß den kleinen Kerl, den ihr da gefangen habt. Es geht auch um Schulden … Aber anders. ‚ Er machte einen Schritt zurück, um aus der Reichweite von Orins Knüppels zu kommen, den der große Grobian jetzt gezogen hatte. ‚Und ich kann seine Schuld vielleicht bezahlen, wie wäre das?‘
‚Orin! Halt ein.‘ Bakke blickte den Fremden jetzt mit zusammengekniffenen Augen an. ‚Du willst was tun?‘
‚Seine Schuld. Wie hoch ist sie?‘
‚5 Goldkronen.‘
‚Oh.‘ Der Mann pfiff durch die Zähne. Dann fischte er, mit einer geübten Bewegung, einen kleinen Beutel von seinem Gürtel, schüttete ihn auf seine Hand, und zählte.
Orin war stehen geblieben und glotzte.
‚Du bist nich’ von hier, oder?‘ fragte er stumpf, den Blick auf die Münzen in der Hand des Fremden gerichtet.
Der blickte auf und sah den Blick des anderen. ‚Bitte tu das nicht!‘
‚Was meinst, wird jemand nach dir suchen?‘ fragte Orin, fast schon nachdenklich, und schlug zu. Der Schlag war schnell und hart, schneller, als Katra mit ihren Augen erfassen konnte und Münzen klimperten auf das Pflaster.
Dann brach Orin zusammen.
‚Schei…‘ fluchte Bakke, da war der Fremde schon bei ihm. Er wollte mit dem Knüppel ausholen, doch er fand sein Handgelenk in einem festen Griff wieder und bekam den Arm nicht frei. Dann traf ihn eine Faust im Gesicht. Katra hörte das Krachen und sah, wie Blut aus Bakkes Ohren spritzte. Der stämmige Schläger sackte zusammen, ein langes Seufzen auf den Lippen und Katra wusste sofort, dass er tot war. Oder bewusstlos – allerdings, bei der Blutlache, die sich an seinem Kopf sammelte? – Tot. Ganz sicher.
Der Bärtige hielt sich eine Schulter und rollte sie langsam, während er sich umsah. Dann, mit der Gewandtheit einer großen Katze, packte er den schlaffen Körper des Schreiberlings und wuchtete ihn auf seine Schultern.
‚Komm.‘ brummte er dem anderen, dem Freund des Schreibers, zu und wandte sich ab.
‚Nicht da. Besser hier e-ent-t-lang.‘ Der junge Mann winkte ihn mit riesigen Augen herbei. Zusammen verschwanden sie im Dunkel der Stadt.
Die kleine Katra stand noch immer im Schatten der Gasse, ein weites, wildes Grinsen auf ihrem Gesicht. Ihre kleinen Zähne blitzten im Schein des Mondes, der gerade hinter einer Wolke hervorgekrochen kam. Die Straßenkinder verehrten Stärke und sie – sie hatte den Gipfel erblickt!
Schnell sammelte sie die Münzen auf, die der Fremde hatte fallen lassen und wich dabei den Körpern und dem Blut von Orin und Bakke aus.
Dann ging sie. Keine Notwendigkeit mehr, jemanden zu warnen oder im Kalten zu schlafen.
Hinter ihr scharrten die Hacken von Bakke über das Pflaster, doch sie kümmerte es nicht. Dann war er eben noch nicht tot. Sein Pech! Sie hatte ihn von nahem gesehen und war sich sicher, dass das nur eine Frage der Zeit war.



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