Matze Steinbeißer

Gehversuche eines Fantasy-Autors


Es war Jahre her, dass Maelgwn etwas Anständiges zu essen gehabt hatte. Zumindest kam es ihm so vor. Dabei: Er hatte das Geschäft – wann? – vor 10 Monaten eröffnet?
Lustlos saß er unter einem Tisch in seinem Antiquariat, der ihm als Höhle und Schlaflager diente, nagte an dem Stück harten Brotes, das er noch in seinem Korb gefunden hatte und erwog seine Möglichkeiten.
Zweimal schon hatten die Schläger von Arek dem Geldverleiher bei ihm geklopft und jedes Mal war ihr Grinsen breiter und ihr Drohen fordernder geworden. Sollte er das Geld vor dem Winter nicht mehr zusammen bekommen, was dann? Sie würden sie ihn als Schuldsklave an den Fischereihafen oder die Salzfelder verkaufen. Und jetzt sandte der Herbst seine Nebelschwaden bereits auf das Meer vor Sorengard und in die Gassen der Stadt.
Er sah sich in der diesigen Stube um, die sein Laden war, und was er sah, gefiel ihm mit jedem Mal weniger. Es war eine Sache gewesen, ein Antiquariat zu gründen – Und einfach obendrein! Er hatte bereitwillig einen Kredit bekommen, ohne Leumund, Bürgen oder Sicherheiten, und jetzt war ihm auch klar, warum. Das Kreditgeschäft sah überhaupt nicht vor, dass er sein Geld zurückbezahlen konnte. Er musste zum Ende der Gewährung nur gesund sein. Das würde reichen. Ein paar Jahre als Schuldsklave und dann sterben – So würde er seinem Besitzer deutlich mehr einbringen.
Er schluckte das harte Brot und die Bitterkeit hinunter und angelte sich den Holzbecher mit Wasser, der über ihm auf der Tischplatte stand.
Ganz davon abgesehen, Sorengard war stolz auf sein Ansehen als raue Arbeiterstadt und Menschen, die bereitwillig alte Bücher verkauften, gab es viele. Aber keine Käufer. Zum Teufel mit diesen Büchern! So viele Bücher hatte er gekauft. In Kisten, Säcken und Stapeln hatte er sie hier hereingetragen und jetzt standen und lagen sie auf Regalen, Schränken, Tischen und Stühlen … und mache auf dem Boden. Und sie setzten Staub an.
Er seufzte, während er langsam weiterkaute. Viele Möglichkeiten blieben ihm nicht. Er konnte in die Fremde gehen, dem Kredit entfliehen und niemals wieder nach Sorengard zurückkehren. Ihm schauderte bei dem Gedanken. Sorengard war der einzige Ort, den er kannte. Hier war er aufgewachsen.
Oder vielleicht sollte er versuchen, im Kloster Schutz zu suchen? Arek würde es kaum wagen, einen Angestellten des Ordens in die Sklaverei zu verkaufen, oder doch?
Allerdings: Gariar war fort, tot. Das hatte vor einem Jahr zu seinem, nun ja, unfreiwilligen Fortgang aus dem Kloster geführt. Es würde ihn, jetzt, wo sein Mentor fort war, kaum jetzt wieder aufnehmen. Gerade nicht, wenn er in finanzieller Not angekrochen kam. Ganz davon abgesehen: Es war ja auch immer noch ein Schwesternkloster! Seine, und Gariars, Anwesenheit war schon damals eine große Ausnahme gewesen.
Es klopfte an der Tür und er verschluckte sich fast am trockenen Brot. War das ein Kunde? Was für ein komischer Gedanke! Er spülte noch einmal mit einem Schluck Wasser nach und stand dann auf.
Er ging zur Tür und spähte durch die Ritzen nach draußen. Es neblig und düster. Die Gestalt mit der hochgeschlagenen Kapuze war nur schemenhaft zu erkennen. Aber er erkannte sie.
Maelgwn atmete auf und entriegelte die Tür. Sofort drängte sich der Mann an ihm vorbei und er spürte die Kälte und Nässe, die er mit hereinbrachte. Er schloss schnell wieder die Tür.
Als er sich umdrehte, hatte der andere seinen Mantel bereits abgeworfen und schüttelte sich wie ein nasser Hund.
‚Das ist so ein widerliches Wetter!‘, schimpfte Koron.
‚Was haben wir uns nur dabei gedacht, uns hier niederzulassen?‘, stimmte Maelgwn ihm zu und Koron blinzelte.
‚Wir wurden hier geboren, du Dummkopf.‘ brummelte er das Offensichtliche und Maelgwn lächelte. Tiefgründiger, oder feiner Humor war an seinen Freund verschwendet.
‚Nimmst du das Wetter denn überhaupt noch wahr? Als Zimmermann bist du doch immer draußen.‘ neckte Maelgwn und Koron verzog angewidert das Gesicht.
‚Wir arbeiten auch sehr viel in der Werkhalle!‘ ließ der breitschultrige junge Mann ihn hochmütig wissen, ‚Ich bin es trotzdem verdammt Leid mir den Arsch abzufrieren!‘
‚Dann ist es ja gut, dass du es bald zum Vorarbeiter gebracht hast. Weniger Arbeit auf dem Bau.‘ sagte Maelgwn, aber auch hier winkte Koron nur ab, ohne auf die Ironie zu achten. ‚In zehn Jahren vielleicht. Ich bin doch gerade erst Geselle geworden.‘
Der junge Zimmermann sah sich kurz um, fegte dann beiläufig ein paar Bücher von einem Stuhl und setzte sich. Staub stieg auf. Er flimmerte im diesigen Licht. Maelgwn zuckte ein wenig zusammen. Aus Gewohnheit.
Die kaufte eh keiner! Schlechte Romane und Gedichtbände.
‚Wann hast du das letzte Mal was verkauft, Mael?‘
Das war es, was Maelgwn an seinem Freund am meisten schätzte. So stumpf und ungebildet Koron bisweilen wirken konnte, auf seine Intuition war Verlass.
‚Seitdem du das letzte Mal da warst?‘, antwortete er, ‚Nichts mehr.‘
‚Oh Mael, Kumpel! Das ist zwei Wochen her!‘ Koron sprang auf und schritt unruhig durch den kleinen Laden. ‚Lass es gut sein mit dieser Idee! Du machst dich hier kaputt!‘
‚Und der Kredit?‘
Koron schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und starrte ihn an, als hätte er einen Geist gesehen.
‚Der Kredit! Verdammt! Das hatte ich total vergessen!‘, er starrte Maelgwn an und seine Kiefermuskeln arbeiteten. ‚Bei wem hast du das Geld eigentlich geliehen?‘ fragte er dann, und Maelgwn flüsterte: ‚Arek.‘
Sein Freund wurde bei diesem Namen bleich. Doch er sagte nichts mehr.
Nachdem er ihn eine Weile stumm gemustert hatte, zog er sich seinen Mantel wieder an, nickend.
‚Ich komme heute Abend wieder her und wir gehen was trinken! Wir müssen dringend reden.‘
Ergeben nickte Maelgwn und als sein Freund gegangen war, verriegelte er die Tür. Obwohl die Morgendämmerung gerade erst das Nebelgrau zu durchdringen begann, und zog sich wieder unter seinen Tisch zurück. Er rechnete nicht mit Besuchern und wenn doch, dann mit keinen freundlichen.


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