Matze Steinbeißer

Gehversuche eines Fantasy-Autors

Ein Problem mehr


Das Buch unter seinem wollenen Hemd versteckt und den langen Mantel um sich geschlungen, nickte Maelgwn dem Gardisten am Tor dankbar zu. Er versuchte ruhig zu sein, doch seine Hände zitterten. Er schlüpfte an dem Mann vorbei ins Freie. Jetzt schnell nach Hause!
‚Einen Moment!‘ Der Soldat stieß sich von der Mauer ab. Wachsam.
‚Alles gut?‘, fragte der junge Uniformierte und streckte die Hand nach ihm aus, um ihn zurückzuhalten. ‚Warum so zitterig? Nervös?‘
Maelgwn nickte und wich der Hand aus, ‚Es ist nichts! Ich saß bloß sehr lange auf dem Boden. Und mir tut der Rücken weh.‘ Er grinste entschuldigend.
Der Soldat kniff misstrauisch die Augen zusammen. Er machte eine große Geste daraus, ins Kloster hinein zu lauschen, doch im Kloster war es still. Keine Hilferufe drangen heraus und der Mann entspannte sich wieder.
‚Warum auf dem Boden?‘, fragte er im Plauderton und lehnte sich an die Mauer. Mit verschränkten Armen und einem breiten Grinsen fragte er: ‚Gesessen, oder gelegen?‘
Maelgwn verdrehte die Augen. ‚Gesessen, Gerhard. Die Stühle waren mit Büchern belegt!‘
Der andere lachte zischend, aber gutmütig: ‚Schreiberlinge!‘
Maelgwn zuckte nur mit den Schultern, winkte zum Abschied und verschwand in den dunklen Gassen.

Die Straßen waren mittlerweile fast menschenleer. Nur wenige Gestalten eilten mit hochgezogenen Schultern an ihm vorbei. Er fiel nicht auf, als er, die Kapuze hochgeschlagen, zügig zu seinem Geschäft lief und die Tür verriegelte. Tief atmete er durch, das Herz schmerzhaft in seiner Brust pochend. Was hatte er getan? Was war nur in ihn gefahren?
Er schlug den Mantel zurück, fühlte nach dem Buch unter seinem Hemd und spürte die harten Kanten und das mittlerweile warme Papier an seinem Bauch.
Etwas rumpelte auf der Straße und er zuckte zusammen. Doch es waren nur Betrunkene.
Dabei fiel Maelgwn siedend heiß ein, dass er mit Koron auf ein Glas verabredet gewesen wäre. Das schlechte Gewissen versetzte ihm einen Stich, und noch war Zeit … Aber er blieb, wo er war.
Die Minuten verstrichen und draußen blieb es ruhig.
Maelgwn kramte unter seinem Hemd und zog das Buch heraus. In der Dunkelheit, die in seinem Laden herrschte, konnte er die Lettern auf dem Buchdeckel nicht sehen. Er tastete und spürte die Vertiefungen der Schriftzeichen. Er schloss die Augen. Dieses Buch konnte sein Todesurteil sein. Was, wenn Delissa ihn verriet? Aber Nein. Sie hätte zu große Angst, in diese Sache hineingezogen zu werden.
Er lauschte auf Geräusche von draußen – Nichts.
Er fand sein Zunderkästchen und entzündete den Stummel der kleinen Kerze unter seinem Tisch. Wieder musste er seinen Puls beruhigen, als er das Buch in die Hand nahm und die verblasste Schrift las: „Noi-rhom von Attenes“, der Titel nur unleserliche Fragmente. Irgendwann waren Wasser oder Schmutz auf dem Buchdeckel getrocknet. Jemand hatte sich Mühe gegeben, das Buch zu säubern, aber ohne großen Erfolg. Als Ergebnis war das Wildleder aufgequollen und jetzt war es wellig und hart und die Goldfarbe der Schrift war größtenteils abgewaschen, oder abgekratzt. Maelgwn betrachtete die Flecken genauer und schauderte. Schmutz, oder doch Blut?
Lange saß er so da. Er wollte dieses Buch so gerne lesen! Sollte er nicht zumindest einen Blick riskieren? Sein alter Mentor hätte das Buch wahrscheinlich direkt ins Feuer, oder ins Meer, geworfen. Mit einer dicken Kette darum, dass es auch bis zum Meeresgrund sank.
‚Hätte ich das?‘ hörte Maelgwn wieder die leise Stimme Gariars. ‚Bist du dir da so sicher?‘
Das Gelächter der Betrunkenen aus den Hafenkneipen war schon lange verstummt und Stille hatte sich über Sorengard gelegt. Die dünne Sichel des Mondes lauerte über einer dünnen Wolkendecke. Finstere Nacht.
Maelgwn schlug das Buch in der Mitte auf, blätterte zum Anfang – und erstarrte.


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