Matze Steinbeißer

Gehversuche eines Fantasy-Autors

Ein Hauch von Freiheit


Maelgwn kam im Dunkeln zu sich. Er wollte die Augen öffnen, doch stechende Kopfschmerzen rollten über ihn hinweg und er kniff sie noch fester zusammen. Undeutliche Stimmen unterhielten sich in seiner Nähe, aber er konnte ihnen nicht folgen. Er stöhnte leise, ohne sich zu bewegen und spürte den Schmerz in Wellen an- und abschwellen. Es wurde nicht besser, aber auch nicht schlimmer, also wagte er leicht den Kopf zu bewegen – Es ging.
Er zählte in Gedanken von drei herunter und öffnete die Augen. Keine zusätzlichen Schmerzen regten sich. Leise keuchend besah er sich seine Situation und war überrascht: Er lag unter seinem Tisch, auf dem Fell, das er gekauft hatte und mit seinem Mantel als Decke. Der beruhigende Geruch nach Schaf hüllte ihn ein.
Die leisen Stimmen in seiner Nähe wurden deutlicher:
‚… einem sehr alten Freund. Aber, das wird sich sicher später klären, wenn er wach wird.‘ Die Stimme war Maelgwn gänzlich unbekannt. Das Timbre aber war angenehm, entspannt und nicht bedrohlich. Trotzdem war ihm unangenehm bewusst, dass jemand, den er nicht kannte, in seinem Laden war.
‚Wenn ihr meint.‘ Es war Koron, den er, mit zweifelndem Unterton, hören konnte. ‚Aber ich kenne euch nicht. Und ich kenne jeden seiner Freunde. Mael und ich kennen uns schon, seit wir Kinder sind.‘
‚Nicht er ist dieser alte Freund.‘ sagte der andere begütigend. ‚Es ist ein wenig komplizierter.‘
Maelgwn wollte sich am liebsten still verhalten – aber dann? Also hob er den Kopf ein wenig und spürte, wie sich die vertraute Stimme Gariars in seinem Kopf regte. Eine plötzliche Welle von Emotionen brach über ihn herein: Verwirrung, Freude, Bestürzung, Schuld. Und Hoffnung.
Tränen schossen ihm in die Augen und er wischte sie irritiert weg.
Koron, der den Fremden gerade gefragt hatte, wie dieser nach Sorengard gekommen war, verstummte und Maelgwn hörte das Rascheln ihrer Kleidung, als sie sich zu ihm umdrehten. Er setzte sich auf, die Augen gegen den Schmerz in seinem Kopf zusammengekniffen und sah zum Kamin, wo, mit kleinen Flammen, zwei dicke Bücher brannten.
Gariars Stimme in seinem Kopf war so deutlich, wie noch nie zuvor:
‚Willem?‘, staunte sie und Maelgwn echote: ‚Willem?‘ bevor er sich dessen bewusst war.
Am Kamin erhob sich eine riesenhafte Gestalt, ganz breite Schultern und zottiger Bart. Erst wollte sich Maelgwn wieder unter seinen Tisch kauern, aber die Gestalt wirkte nicht bedrohlich auf ihn. Wenn man das bloße Aussehen des Mannes außen vor ließ, natürlich.
Der große Mann räusperte sich. Seine Schultern zuckten und er atmete heftig. Maelgwn konnte das Gesicht des anderen nicht sehen, aber der Mann weinte doch!
Maelgwn sah Hilfe suchend zu Koron, der sich ebenfalls erhoben hatte. Der junge Zimmermann stand in einem respektvollen Abstand zu dem großen Mann – Willem? – und rührte sich nicht, war er aber offenbar genauso verwirrt wie Maelgwn selbst.
Wieder räusperte sich der Mann. ‚Ich heiße jetzt Kolja, Kolja Succar. Aber …‘ Seine Stimme brach fast. ‚Wie … ist das möglich?‘
‚Hast du nicht nach mir gesucht?‘ hallte die Stimme in Maelgwns Kopf wieder, ‚Warum sonst solltest du hierherkommen?‘
‚Ich habe das ganze Land abgesucht, nach einem Zeichen von Horazio! Aber nicht nach dir! Wie hätte ich hoffen können … ?‘
‚Horazio, ja. Lebt er?‘
‚Er ist tot, ähm …‘ Er verstummte, und die Stimme in seinem Kopf sprang ihm bei: ‚Morion. Du kannst mich bei meinem Namen nennen. Wir benötigen keine Förmlichkeiten!‘
Der große Mann beugte den Kopf und sprach leise weiter. ‚Horazio ist tot. Ich weiß nicht, wie er gestorben ist. Kürzlich erst. Aber …‘ Wieder rollten dem Mann Tränen über das Gesicht und er wischte sie achtlos beiseite, ‚ihr hier. Nach all der Zeit.‘
‚Was geht hier vor?‘ unterbrach Maelgwn leise und vorsichtig. Wie konnte dieser fremde Mann die Stimme hören, die er für eine Erinnerung an seinen Mentor hielt?
‚Ja! Warum redet ihr plötzlich mit euch selbst?‘ Koron hatte den Fremden angesprochen. Zunächst verstand Maelgwn nicht, was Koron von ihm – Willem? Kolja? – wollte. Aber wenn Koron die Stimme in seinem Kopf nicht hören konnte, was sagte das über den fremden Krieger aus?
‚Wer seid ihr?‘ fragte Maelgwn nochmal.
Er meinte, ein Seufzen, wie einen geisterhaften Wind, zu hören. ‚Und so kommt es, dass wir eine Entscheidung treffen müssen.‘ antwortete die körperlose Stimme. Kolja nickte.
‚Kann uns der Junge nutzen?‘ Der Blick des Mannes war berechnend.
‚Er kann mich hören. Das ist … bemerkenswert.‘ erwog die Stimme. ‚Das vermochte selbst Horazio nicht.‘ Maelgwn spürte, was ein durchatmen sein mochte, ‚Es war der Orden, der ihn fand und ihn tötete. Und es war keine Lüge, als er ihnen in seinen letzten Momenten versicherte, dass er mich tot und meine Seele vergangen fürchtete.‘
‚Also wart ihr bei ihm, als er starb?‘
‚Ich war die letzten 400 Jahre bei ihm!‘, die körperlose Stimme klang bitter. ‚Hätte er seine Studien nur ernster genommen …‘
‚Morion!‘, Koljas Stimme war angespannt, ‚Der Junge …‘
‚Du hast ja recht.‘ Maelgwn konnte die Anstrengung fast spüren, die es für die Stimme erforderte, sich aus seinen Gedanken zu reißen. ‚Hol das Amulett heraus, Junge!‘
Das Amulett? Was hatte das Amulett damit zu … Oh! Ihm wurde heiß. In seinem Beutel tastete er danach und fand es zwischen den wenigen Münzen. Seine Hände zitterten, als er es herausholte und betrachtete. Er sah den hünenhaften Mann an und schluckte. ‚Werdet ihr uns töten, wenn ich das Medaillon hergebe?‘ Seine Stimme war heißer.
‚Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.‘ Der Blick des anderen war undurchdringlich, während er ihn betrachtete. Dann schüttelte er den Kopf und rieb sich mit beiden Händen die Augen. ‚Nein. Wir müssen uns beraten, Morion und ich. Ihr beide‘ er schob den überraschten Koron an sich vorbei in Maelgwns Richtung. ‚Seid still und wartet ab. Wir sind keine Mörder. Und jetzt, das Amulett, wenn ich bitten darf.‘
‚Ich habe es in einem Buch von Noi-rhom, dem Godemorderen, gefunden.‘ setzte Maelgwn zaghaft an.
Was hast du?‘ zischte Koron. Maelgwn konnte aus den Augenwinkeln sehen, dass sein Freund ihn anstarrte. Er aber blickte Kolja an.
‚Werdet ihr uns an die Inquisition verraten?‘
‚Lasst mich kurz mit Morion reden. Es gibt vieles‘, er lachte freudlos, ’sehr vieles zu klären.‘ Er nahm das Medaillon aus Maelgwns Hand und ging damit zur Eingangstür. Dort setzte er sich auf den Boden, den Rücken zur Tür, und schloss die Augen. Fliehen konnten sie also nicht.
‚Was geht hier vor, Mael!‘ hörte er seinen Freund neben sich flüstern.
‚Das Amulett …‘ setzte Maelgwn an, nur um sich direkt zu unterbrechen. ‚Komm.‘ Er zeigte auf den Kamin, in dem die zwei dicken Bücher nur noch glühende Asche waren. ‚Setzen wir uns.‘

Es dämmerte als Kolja zu Maelgwn und Koron an den Kamin trat. Seine Haltung verriet Erschöpfung und er zog sich einen Stuhl heran, um sich darauf sinken zu lassen. Die Augen aber straften seine Haltung Lügen. Scharf musterte er sie. Erst Maelgwn, lange, dann Koron.
‚Morion und ich haben uns beraten.‘ brummte er. Maelgwn und Koron warteten atemlos, doch der Mann starrte ins Feuer, und hing seinen Gedanken nach.
‚Was bedeutet das für uns?‘ fragte Koron tonlos. ‚Und wer ist Morion?‘
Maelgwn hatte seinem Freund von seiner „inneren Stimme“ erzählt, aber auch davon, dass er selbst keinen Schimmer hatte, woher sie genau gekommen war.
‚Morion war der letzte, und talentierteste Schüler eines großen Magiers. Noi-rhom. Einem Mann, der Seinesgleichen in der Welt der Gelehrten und Geistseher suchte.‘ Maelgwn stellten sich die Haare auf den Unterarmen auf, als Kolja den Namen des Godemorderen so schamlos aussprach.
‚Du trägst dick auf, alter Freund.‘ hörte Maelgwn eine leise Stimme. Irritert hielt er inne. Dass die Stimme nun so leise war, konnte nur damit zusammenhängen, dass Kolja das Amulett an sich genommen hatte und das wiederum …
‚Ist es das Amulett, das spricht?‘ fragte er überrascht und Kolja nickte.
‚Ja, und Nein. Es ist die Seele, die in das Amulett eingeschlossen ist.‘
Koron sprang alarmiert auf und warf dabei fast seinen Stuhl um. Maelgwn erstarrte. ‚Eine Seele? Ist das Zauberei?‘ Hastig presste er beide Handflächen gegen seine Schläfen. Kolja lächelte belustigt.
‚Was soll das werden?‘
‚Es ist eine Abwehr gegen das Böse.‘ erklärte Maelgwn. Er war erstaunt, dass er so viel weniger schockiert war als Koron. Auf der anderen Seite hatte er die letzten Tage mit einem Buch von Noi-rhom zugebracht. Der Name hatte seither viel von seinem Schrecken verloren.
‚Das Böse dringt in den Kopf der Menschen ein und verwirrt ihren Verstand. So entstehen die Zombies, die aus den Sümpfen von Rhom über die Länder herfallen. Das lehrt uns der Orden.‘
‚Mhm.‘ Kolja bedeutete Koron, sich wieder zu setzen. ‚Du kannst die Hände herunternehmen. Euch droht keine Gefahr.‘
Korons Blick huschte zwischen Kolja und Maelgwn hin und her. Maelgwn zuckte die Schultern. ‚Wir sind eh im Arsch, Kor.‘
‚Ich will meine Seele nicht verlieren!‘ Koron funkelte ihn an. Doch als Maelgwn nicht reagierte, setzte er sich wieder. Diesmal jedoch etwas weiter von Kolja entfernt.
‚Morion könnte es euch selbst erklären, aber du, mein Junge‘ er deutete auf Koron, ‚kannst ihn ja nicht hören. Also …‘
‚Aber wie kann sie, er … ich meine die Seele, wie kann sie sprechen?‘ Koron atmete schnell, nur gerade so auf der Kante seines Stuhls sitzend, bereit zur Flucht.
‚Höhere Thaumaturgie und die höchsten Gipfel der magischen Künste in einfachen Worten zusammengefasst: Keine Ahnung. Ein nekromantisches Ritual bindet eine Seele an einen Gegenstand. Was die Seele eigentlich ist? Unklar. Wieviel mehr von einem Menschen, als seinen Lebensfunken trägt sie? Strittig. Warum Morions Seele seinen Charakter erhalten hat und sprechen kann? Im besten Fall erklärbar, falls man die Geduld für schamlose Esoterik hat. Im schlechtesten Fall ein Wunder und damit genauso esoterisch.‘ Kolja fischte kopfschüttelnd in den Taschen seines Mantels herum und holte eine kleine Zinnflasche heraus, aus der er einen Schluck nahm. Sein Husten verriet scharfen Alkohol. ‚Stimmt euch meine Antwort zufrieden?‘
Maelgwn und Koron starrten ihn an.
‚Aber Magie ist verboten!‘ flüsterte Koron und Maelgwn nickte, doch Kolja winkte ab. ‚Verboten? Seit wann, und von wem?‘
Sie tauschten ratlose Blicke mit einander.
‚Vom Orden, und seit rund 400 Jahren.‘ beantwortete Kolja seine Frage selbst. ‚Selbstschutz!‘ er hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.
‚Magelli gründete den Orden, als er nach mehr magischer Macht strebte, als er erreichen konnte. Er tötete Noi-rhom und verbrachte Jahrzehnte damit, das Fundament dessen zu errichten, was heute der Orden des Großen Geistes ist.‘ Er lacht ironisch, ‚Jetzt kontrolliert er alle institutionelle magische Macht diesseits der Teiler Berge.‘
Maelgwn rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Er und Koron tauschten einen weiteren unglücklichen Blick. ‚Das ist Blasphemie.‘ hob Maelgwn an. So viel bösartige Bitterkeit! Was dachte sich dieser Mann? ‚Der Orden ist unser Schutz gegen das Böse. Die Ordensfestung …‘
Aber Kolja hörte ihm nicht mehr zu. Die Stirn gefurcht blickte er zum Fenster, an dem gerade ein kleines, dreckiges Gesicht zu sehen war und dann verschwand.
‚Ein Straßenmädchen.‘, sagte Maelgwn entschuldigend. ‚Ich stelle ihr manchmal etwas zu Essen raus. Aber sie ist nie da, wenn ich die Tür aufmache.‘
‚Wegen dieser Behauptung über den Orden…‘ sprang Koron ihm bei.
Da klopfte es.


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