Matze Steinbeißer

Gehversuche eines Fantasy-Autors


Maelgwn lag unter dem Tisch, auf seinem Schlaflager. In seinen Mantel und eine wollene Decke gehüllt fror er nicht und er hätte für immer so liegen bleiben können, wenn da nicht der Hunger und der unangenehme Druck auf seiner Blase gewesen wäre.
Seit drei Tagen hatte er den Laden kaum verlassen, wenig getrunken und noch weniger gegessen. Zweimal war er hinter das Haus gegangen, um seine Notdurft zu verrichten. In seinem Laden war es stickig. Und es war kalt.
Maelgwn schlug die Decke zurück und stellte wieder fest, dass das Gefühl der Wärme und Behaglichkeit schnell verflog. Zurück blieb eine Erschöpfung, die nicht bloß körperlich war. Er fühlte sich leer und sehr müde. Und jetzt wo er sich bewegte auch kalt. Vielleicht, so sinnierte er abgeklärt, war ihm gar nicht wirklich warm gewesen. Vielleicht starb er. An der Kälte? Oder an einer magischen Einflussnahme?
Man sagte den Schriften von Noi-rhom nur weniges nach. Kein Wunder, denn zum einen war ihre Existenz geheim und zum anderen war es verboten, über sie zu sprechen. Dass Noi-rhom, der Godemorderen, auf dem besten Weg war, den Osten des Kontinents in ein Brachland zu verwandeln, nur von Untoten bevölkert, schürte aber, er überlegte, wie er es formulieren sollte: „gewisse Sorgen“ hinsichtlich der Gefährlichkeit seiner „Erzeugnisse“.
Davon abgesehen hatte sich die Lektüre dieses Buches als erstaunlich bodenständig und unproblematisch erwiesen. Das handgeschriebene Buch, Maelgwn vermutete ein Original, beschrieb eine Weltsicht, die zwar fremdartig war, aber dennoch bereichernd. Er wusste nicht genau, was er erwartet hatte, aber nicht das. Zwar beschrieb das Buch die verbotenen und gefährlichen Praktiken der Magi, der legendenhaften Zauberkundigen, die unter dem Glauben des Großen Geistes verboten worden waren, doch beunruhigend fand Maelgwn das Buch nicht. Keine Frage, bloß, dass er dieses Buch besaß war ein Todesurteil. Und das, was er in dem Buch gefunden hatte, sorgsam versteckt in einer geschnittenen Vertiefung für die mehrere Dutzend Seiten zerstört worden waren … er konnte sich keinen Reim darauf machen. Wer versteckte ein Schmuckstück in einem Buch? Noch dazu ausgerechnet in diesem Buch? Er betrachtete das Kleinod kurz. Es war ein Knochen, vermutlich ein Fingerknochen, in einer Fassung aus Bronze. Die Bronze war im Alter schwarz geworden, der Fingerknochen grau. Er verstaute die Brosche wieder in seinem Münzbeutel und schlug das Buch wieder auf. Er starrte darauf, die Zeilen vor seinen Augen verschwimmend. Er stöhnte. Es half nichts! Er musste etwas essen!

Eine geraume Weile später war er am Markt. Er hatte sich viel Mühe gegeben, die Umgebung seines Ladens zu beobachten, bevor er ihn verlassen hatte. Die Handlanger von Arek waren an jedem, der vergangenen drei Tage bei seinem Laden gewesen, hatten durch die Fenster gespäht und sich gedämpft unterhalten. Sie hatten keine Anstalten gemacht, die Tür aufzubrechen, die er natürlich verriegelt hielt, aber es vermutete, dass seine Zeit ablief. Sie würden ihn holen. Vielleicht noch vor dem ersten Schnee.
Auch die Angehörigen der Stadtwache und Angehörige des Ordens hatte er gemieden und deshalb zweimal einen Umweg in Kauf genommen. Er konnte nur vermuten, dass sie ihn offiziell nicht suchten, aber er konnte nicht sicher sein.
Auf dem Markt nickte ihm der Marktvorsteher zu und machte eine Geste zu einem Tisch, doch Maelgwn winkte ab. Er schlängelte sich durch die Besucher und erstand einen Ring Wurst, eine Blase mit Bier und ein Brot. Er besah sich ein paar Kleidungsstücke, immer noch durchgefroren, und kaufte eine wollene Mütze und ein großes Schafsfell. Da er nicht damit rechnete, noch lange in Freiheit zu leben, wollte er mit seinem Geld nicht mehr haushalten. Wahrscheinlich würden ihn Areks Häscher in den kommenden Tagen oder Wochen holen, und warum sollte er ihnen dann auch noch Bargeld überlassen. Auch, wenn es genau genommen Areks Geld war.
Bei dieser Überlegung kaufte er auch noch ein Sax, die Klingenwaffe fast so lang wie sein Unterarm und hängte es an seinen Gürtel. Er sah fast aus wie einer der Freihändler oder Großbauern, die zwischen den Städten ihren Lebensunterhalt verdienten. Freihändler. Er verzog das Gesicht ob dieser Ironie. Er war nie ganz frei gewesen. Und schon bald würde er noch viel unfreier sein.
Mit der Waffe würde er zumindest Widerstand leisten können, obwohl – lachhaft! – er war kein Kämpfer. Nie gewesen. Aber vielleicht konnte er seine Häscher zumindest einmal verjagen und das war es dann.
Er ließ die Schultern hängen, vergrub die Hände in seinen Ärmeln.
Kurz hatte er seine Umgebung nicht im Blick gehabt, da packte ihn eine Hand an der Schulter und Maelgwn zuckte so heftig zusammen, dass er fast umgefallen wäre. Die harte Hand drehte ihn um und eine Stimme knurrte: ‚Hier bist du also!‘,
‚Koron!‘ stieß Maelgwn hervor, das Blut in seinen Ohren rauschend. Seine Beine gaben ein wenig nach und Koron packte, überrascht, fester zu. ‚Ach du Schreck, Mael!‘ Koron starrte ihn besorgt an und hielt ihn jetzt auch noch mit der anderen Hand. ‚Das wollte ich nicht!‘, sagte er, und, ihn langsam loslassend ‚Geht es?‘
‚Es geht schon.‘ flüsterte Maelgwn und vermied es sich umzusehen. Nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen!
‚Ich mache mir Sorgen um dich.‘ sagte Koron, ihn von oben bis unten betrachtend. ‚Und wohl zu Recht. Du siehst furchtbar aus!‘, ‚Psssst!‘, zischte Maelgwn leise, doch noch mehr Gesichter drehten sich ihm und seinem Freund zu. ‚Lass uns später sprechen. Vielleicht heute abend? Im „Goldenen Bug“?‘
‚Du hast mich erst kürzlich schonmal versetzt.‘ grummelte Koron beleidigt. ‚Und warum im Bug? Die Getränke sind teuer!‘
‚Aber dafür ist es ruhig!‘ Er betrachtete seinen Freund. ‚Ich zahle auch.‘
Die Augen des jungen Zimmermanns wurden bei diesen Worten noch kleiner als ohnehin schon, ‚Bist du zu Geld gekommen? Hat jemand deinen Laden aufgekauft?‘
Maelgwn ließ die Schultern hängen. ‚Komm einfach.‘ bat er seinen Freund leise.
‚Na dann.‘ grollte sein Gegenüber. ‚Dann sehen wir uns heute Abend. Ich hole dich ab.‘
‚Einverstanden.‘ nickte Maelgwn. ‚Vielleicht sehen wir uns zum letzten Mal.‘
Korons Augen wurden groß und sein Blick wanderte vielsagend zu dem Sax, das sich sperrig unter Maelgwns Mantel abzeichnete.
‚Wir werden reden. Und mach bis dahin nichts Unüberlegtes!‘
Maelgwn nickte wieder und wandte sich ab. Die Aufmerksamkeit der Marktbesucher war verflogen, bloß ein großer, düsterer Mann mit grauem Vollbart begegnete seinem Blick, sah dann aber betont gelangweilt in die andere Richtung. Maelgwn beeilte sich, den Markt zu verlassen.

Er war satt und im Kamin brannte ein lustiges Feuer. Es brannte hell und heiß, denn altes Papier verbrannte nun einmal schnell. Er dachte sich, dass es ihm eigentlich weh tun müsste, die Bücher brennen zu sehen, doch es kümmerte ihn nicht. Ihm war seit Wochen das erste Mal wieder richtig warm. Seine Kleidung hatte er getrocknet und so saß er zufrieden auf einem der jetzt freien Stühle, das Buch von Noi-rhom auf dem Schoß und schnitt sich mit dem Sax eine Scheibe Wurst ab. Die lange Klinge war kein Rasiermesser, aber sie hatte eine schöne Gebrauchsschärfe.
Er hörte ein Geräusch und drehte sich zu einem Fenster um. Dort sah er kurz das kleine Gesicht eines Mädchens und wilden Haaren, dann war es schon wieder verschwunden. Ein Straßenkind? Davon gab es in Sorengard nicht viele, wenn überhaupt. Der Orden nahm Waisenkinder oft auf und brachte sie im Kloster, oder außerhalb der Stadt in anderen Ordenshäusern unter. Waisenkinder, die auf der Straße lebten, hatten in diesem kalten und harten Klima einen sehr schweren Stand.
Maelgwn erhob sich, träge vom guten Essen und der Wärme, und wankte zur Tür. Er nahm die Reste von Brot und Wurst mit und öffnete die Tür und sah die leere Straße hinunter. Das hatte er erwartet. Ächzend bückte er sich und legte das Essen auf die Türschwelle. Dann schloss er die Tür. Lauschend meinte er, das Scharren kleiner Füße von draußen zu hören, sicher war er sich aber nicht.
Als Koron ihn geraume Zeit später abholte, war die Türschwelle leer.


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