Matze Steinbeißer

Gehversuche eines Fantasy-Autors


Es war Mittag und er war es Leid im Laden zu warten.
Er legte sich den wollenen Kapuzenumhang um, der zur Garderobe eines jeden Sorengarders zu gehören schien und packte eine große Kiste. Mit den interessantesten und am besten erhaltenen Büchern seines Antiquariats ging er hinaus. Er lud sie auf den kleinen, schlingernden Handkarren vor der Tür und trottete los. Sein Ziel war der Markt. Der Marktvogt sah ihn schon von weitem und winkte ihm grinsend zu. Maelgwn bezahlte dem Mann einen Groschen für einen kleinen Platz für den Tag und einen weiteren Groschen Miete für einen hölzernen Tisch. Ein muskulöser Marktarbeiter schulterte diesen und bedeutete ihm vorzugehen. Dann stand Maelgwn an seinem Stammplatz, sah den Städtern bei ihren Erledigungen und Besorgungen zu und ignorierte die verwunderten, mitleidigen oder offen belustigten Blicke der Marktbesucher und der anderen Standbetreiber. Er verkaufte auch heute nichts.
Nach ein paar aufmunternden Worten seiner Standnachbarin, einer alten Dame namens Silla, die Kräuterabsude und Tinkturen verkaufte, brach Maelgwn den Stand ab und machte sich auf den Weg nach Hause. Mit hängenden Schultern und hängendem Kopf schlurfte er, den kleinen Wagen hinter sich herziehend, die Straße entlang.
Er drängte sich gerade durch den Wagenverkehr auf der Hauptzufahrt zum Hafen, wo auch sein Antiquariat lag, da spürte er ein Zupfen an seinem Mantel. Ein Mädchen in der unförmigen Kutte der Klosterschüler stand hinter ihm, einen knitterigen Brief in ihrer Faust. Ihr kleines Gesicht war ganz rot vor unterdrücktem Ärger.
‚Du bist aber schwer zu finden!‘ piepste sie, und streckte ihm ruckartig den Brief entgegen, den er verwundert an sich nahm.
‚Das tut mir leid!‘ sagte er besänftigend. ‚Ich wusste nicht, dass ich gesucht werde. Sonst hätte ich etwas Bunteres angezogen.‘
Das kleine Mädchen schnaubte.
‚Du bist zu arm für bunte Kleider!‘ schnauzte sie ihn an, machte auf dem Hacken kehrt und verschwand im Gewühl der Straße. Ach, die Ehrlichkeit der Kinder! Maelgwn schmunzelte in sich hinein, als er den Karren wieder aufnahm und seinen Weg fortsetzte. Einen Brief vom Kloster hatte er jetzt am wenigsten erwartet.
Zu Hause angekommen, verräumte er erst seine Bücherkiste, dann hockte er sich unter den Tisch, um den Brief zu öffnen. Dass er vom Kloster war, war offensichtlich. Auch er und Koron hatten, als sie noch in der Klosterschule unterrichtet worden waren, Botengänge und kleine Arbeiten erledigen müssen.
Bedächtig faltete er den Brief auseinander und las, dann sah er durch ein staubiges Fenster nach draußen. Details konnte man keine erkennen, aber er konnte sehen, dass es bereits begann dunkel zu werden. Das hieß, bis zum „Abend“ war noch eine Weile hin. Im hohen Norden des Kontinents wurde es gerade in Herbst und Winter sehr früh dunkel und Isnir, das Reich, dessen Hauptstadt Sorengard war, galt als sprichwörtlich dunkel und düster. Der Sommer währte nur kurz und der häufige Nebel tat sein übriges, dass es in Sorengard nie wirklich hell zu sein schien.
Maelgwn stemmte sich stöhnend vom kalten Boden hoch, klopfte sich den Staub vom Mantel und verließ den Laden. Der Weg durch die schmalen Gassen der Stadt zog sich, denn Maelgwn musste vom hafenseitigen Teil im Norden der Stadt in das frühere Stadtzentrum, und die Gassen der Stadt waren verwinkelt und führten nie direkt dorthin, wo man hinwollte.
Das Kloster war ein trutziger Bau mit einer Mauer, die es von der Stadt abgrenzte. Es war früher die Kaserne der Stadtwache, oder ein anderes Gebäude der Garnison gewesen – Vielleicht die Kommandantur, überlegte Maelgwn – doch schon seit mehr als hundert Jahren residierte hier ein Schwesternkloster des Ordens. Seitdem hatte man eine Halle der Andacht auf dem Areal errichtet und die alten Stallungen dafür abgerissen. Der Orden, so wusste Maelgwn aus seiner Zeit an der Klosterschule, unterhielt viele Klöster in der Nordhälfte des Kontinents, die größten in Kalm und Altgrund im Nordwesten und Sorengard im Nordosten. Der Hauptsitz aber, die hohe und ehrwürdige Klosterfestung und Hauptsitz der Ekklesiarchie des Großen Geistes befand sich in Kolmstein, im Osten des Kontinents, am Rande der Rhomer Sümpfe.
Die Kommandantur der Garnison von Sorengard war damals in die Gardeburg umgezogen. Dort hielt auch der Herr von Isnir, König Somers, Hof. Die alte Garnison in der Stadt drohte zu verfallen. Die Gardeburg wiederum überragte das Stadtbild von Sorengard an seiner nördlichen Seite, zur Küste hin. Sie beschützte so mit ihren zwei Ballisten „Der alte Häffner“, einer schweren Belagerungsballiste, benannt nach einem vergangenen König Isnirs, und einem etwas leichteren Gerät, das man nur „Schwerer Bogen“ nannte, den Hafeneingang.
Maelgwn erreichte das Tor zum Klosterareal, an dem ein Gardist der Stadtwache formeller Weise Wache hielt und überreichte dem Mann den Brief. Das Frauenkloster stand Besuchern nicht zu jeder Zeit offen, zumeist nur an formellen Feiertagen wie dem Tag der Ordensgründung. Dazu gab es noch den Tag der Niederschlagung der Bestie und ein oder zwei weniger wichtigen Anlässe.
Der Wächter studierte den Brief. Offenbar konnte der Mann lesen. Ein niederer Adeliger? Oder der Sohn eines wohlhabenden Händlers?
Er nickte brüsk. ‚Soll ich jemanden rufen, der dich zur Ordensbibliothek bringt, oder warst du schon einmal hier?‘, fragte er brummig, aber nicht unfreundlich. ‚Ich finde den Weg, Danke. Ich habe dort meine Lehre gemacht.‘ Die hochgezogenen Augenbrauen des Gardisten verrieten seine Gedanken und Maelgwn beeilte sich zu ergänzen: ‚Ich habe unter Gariar gelernt und gearbeitet. Mit seinem Tod konnte ich nicht im Kloster bleiben.‘ Ich zuckte die Schultern und der Soldat pfiff anerkennend. ‚Der Lehrling von Gariar dem Weiberhelden? Ich wüsste ja gerne, was Du so alles gelernt hast, Junge.‘ Er grinste und zwinkerte Maelgwn zu. ‚Wenn Dir danach ist, lade ich Dich auch gerne mal auf ein Bier ein! Ich und die Jungs haben immer Spaß an ein paar versauten Geschichten! Ich bin übrigens Gerhard.‘ Er salutierte in halbem Ernst. Maelgwn konnte nicht anders als lachen. Er wusste, dass sein alter Freund und Mentor einen Ruf als Weiberheld gehabt hatte und auch, dass die Gerüchte vollkommen aus der Luft gegriffen waren. Gariar war ein Schriftgelehrter vom alten Schlag gewesen und auch wenn er tagein, tagaus nur von Frauen umgeben gewesen war – Er seiner ersten Liebe, der Literatur, immer treu geblieben. Auch Maelgwn hatte diesen „Vorzügen“ des Klosterlebens wenig Beachtung geschenkt, denn er hatte gewusst, dass Gariar daran Anstoß genommen hätte. Dabei war der Orden keinesfalls zölibatär. Doch Ordenschwestern, die ein Kind erwarteten oder erzogen, mussten das Kloster für diese Zeit verlassen, und so zogen nur wenige Schwestern Liebschaften ernsthaft in Betracht.
Dem Wächter war nicht entgangen, dass Maelgwn in Gedanken war und er winkte ihn vorbei: ‚Du hast zu tun. Vielleicht sieht man sich ja mal in der Stadt!‘
Er öffnete die eisenbeschlagene Mannpforte. Maelgwn lächelte entschuldigend und trat ein. ‚Ach, und, nur der Form halber: Mach keinen Ärger, während du im Kloster bist.‘ Überrascht sah er den Wachhabenden an. Der wirkte etwa verlegen und Maelgwn erkannte er jetzt, dass der Gardist kaum älter war als er selbst. ‚Tut mir leid. Ich muss das sagen!‘


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